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#16       

Josef Schulz
„Sign Out“ und„Terra Incognita“

Josef Schulz, geboren 1966, studierte bei Bernd Becher und Thomas Ruff Fotografie. 2001 wurde er als Europäischer Architekturfotograf des Jahres ausgezeichnet, 2007 erhielt er das Stipendium der ZF-Kulturstiftung, Friedrichshafen. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Sign out“ lautet der Titel und beschreibt die Serie treffend, denn Schulz widmet sein Interesse diesmal der variantenreichen Fülle von Werbeschildern – wie sie an besagten Orten vorkommen – fotografiert auf Reisen durch die USA. Diese markanten Leuchtkörper bilden in Natura eine zweite Ebene oberhalb der angesiedelten Architektur und verweisen auf deren jeweilige Spezifikation. Sie sind Träger von Textbotschaften und dienen einzig dem Hinweis und der Verführung.

Genau hier greift Schulz ein, befreit die Schilder mittels digitaler Manipulation von ihrer „Bezeichnung", somit von der Funktion; er kappt die Kommunikation, sign out. Das ursprüngliche Gebilde aus „form and function“ ist nun reduziert auf die reine Form, wandelt sich somit zum skulpturalen künstlerischen Objekt.

Diesen Eindruck bestärkt Josef Schulz durch die minutiöse Bearbeitung am Computer mit dem Fokus auf die Hervorhebung von Form, Farben und Glanz, bzw. Mattigkeit. Es entstehen autonome räumliche Körper, an denen keinerlei Kratzer, Defekte, oder andere Spuren sichtbar sind, scheinbar zeitlos, künstlich.

Die Autonomie des Objekts resultiert auch durch die gewählte Perspektive seiner Aufnahmen. Unverortet, ohne jeglichen Hinweis auf umliegende Gebäude oder eine spezifische Vegetation, lässt allein der jeweilig abgebildete Himmel die Spekulation  auf unterschiedliche Standorte zu. Diese Himmelsfarben bilden in ihrer pastellenen Farbverläufen einen Kontrast zu den knallig abgesetzten Farbfeldern der Schilder und deren geometrischen Ausführung. Die verschiedenen Kombinationen wecken unterschiedliche Stimmungen; der graue Himmel zu weißem Schild hat eine andere Wirkung als das gelbe Schild vor strahlend blauem Himmel. Ein Kondensstreifen suggeriert Tiefe und Weite im Bild, man kann eine Größendimension erahnen, was in den anderen Fotografien offen bleibt. Dort schwankt der Blickpunkt zwischen Modell und Realität.

Neben ihren starken ästhetischen Reizen haben diese neuen Fotografien auch einen absurden Moment. In ihrer Funktionslosigkeit wirken sie fast comicartig; als leere Sprech- oder Denkblasen hinterfragen sie ihre Umgebung, erzählen von der Austauschbarkeit von Wünschen und reflektieren die Mechanismen des eigenen Begehrens.

Die Schiene stand in Nordamerika für die Bewegung, die Besiedelung, den Aufbruch gen Westen. Mit Erreichen des Pazifiks erhob sich dieser über die pure Himmelsrichtung heraus zum mythologischen, heilbringenden Ort. Die Eisenbahn verlor an Bedeutung, der Highway übernahm. Den Siedlern von einst war der Grund und Boden das Versprechen; der Traum von einer glücklicheren Zukunft wohnte auf einem Stück Land, das es galt urbar zu machen. Verloren war, wer hier nicht über Imagination verfügte, einen Plan und starken Glauben.

Heute, lange nach dem Ende der Landnahme, schwebt der Zauber vom Aufbruch über dem Highway wie eine jener Luftspiegelungen über der Asphaltdecke im Sommer. Unter die Räder gekommen ist die Auffassung, die eigene Existenz sei einem Stück Land abzutrotzen und somit Frucht jahrelanger, harter Arbeit. Vom großen (nicht nur amerikanischen) Kurzschluss künden die übergroßen Schilder am Straßenrand. Sie schreien es auch dem Nicht-Suchenden entgegen: Die Pforte zum Paradies liegt hinter der nächsten Ausfahrt. Erlösung erwartet jedermann, der sich mit Geld auf den Weg macht. Einkaufszentren, Motels, Restaurants, Banken locken, und keiner muss in den menschenfeindlichen suburbanen Räumen noch einmal Siedler sein.

In SIGN OUT fehlt auch dieser Anhaltspunkt: Josef Schulz fotografiert die Reklametafeln an den US-amerikanischen Highways und innerhalb der Einkaufsgebiete konsequent in der Untersicht, vor uniformen Himmel. Das, auf was sie verweisen, liegt außerhalb des Bildes im OFF; wir können nur darüber spekulieren. Auch wurden den Tafeln in der Nachbearbeitung Schriften und Logos genommen. Ihrer Botschaft und Funktion beraubt, werden sie zu leeren Sprechblasen. Zunächst scheinen sie ganz auf Blech und Farbe reduziert. Der Betrachter rutscht ab und entdeckt – dann doch – Dreidimensionales: Die Tafeln werden von Gerüsten und Stangen in Wind und Wetter gehalten. Sie haben ein Volumen, schwarze Ränder, tragen Elektrik in ihrem Inneren. Es sind Objekte. Doch täuschen wir uns nicht: Die ihnen abhanden gekommene Botschaft tragen sie schmerzhaft vor sich her. Es sind eben keine neuen Schilder, die noch zu bedrucken wären, sondern alte, gebrauchte. Und so erzählen diese in den Himmel gehobenen Tafeln von geplatzten Träumen. In diesem Comic der leeren Sprechblasen weht der Geist zeitgenössischer Goldgräber, den die große Wirtschaftskrise nun auf der Grünen Wiese begräbt.

Sign Out heißt, sich von einer Liste austragen, sich aus dem System abmelden, nicht mehr teilnehmen. Damit sind ganz konkret die beschilderten Gewerbegebiete gemeint, die mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben. Mangelnder Umsatz führt zur Aufgabe von Geschäften und Niederlassungen. Angestellte werden entlassen. Weil diese aber in der Nähe ihres Arbeitsplatzes keinen Umsatz mehr tätigen, verstärken sich in der Folge die Verluste. Dies ist vordergründig nur das Ergebnis einer Rechenaufgabe, die in der Summe höhere Ausgaben als Einnahmen ergibt. Volkswirtschaftlich aber droht eine Kettenreaktion: Erstens, weil das System ein dynamisches ist und deswegen nur in der Bewegung, also im Wachstum Gewinne generiert. Zweitens, weil es Vertrauen in eine Tragfähigkeit voraussetzt, die nicht immer gegeben ist.

Genau auf diesem schwankenden Boden gedeiht die Sehnsucht nach erneutem Aufbruch. Ganz gleich, wie groß sich die weltweite Pleite ausnehmen wird, nirgendwo ist treffender und entlarvender beschildert als am Rande eines amerikanischen Highways. Irgendwo hinter diesen wortlos mahnenden Schildern von Josef Schulz muss der Neue Westen beginnen. Sachlicher als in diesen Arbeiten wurde amerikanischer Pop noch nicht besungen.

Patrik Metzger

Bilder von der Eröffnung am 17. Juni 2023

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Monika Malsy

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