9k-Galerie für
Ding Bild Wort Laut
#2
Victor Malsy : well, pappe.
Hommage à Hans-Rudolf Lutz
Die Werkgruppe „well, pappe.“ Hommage à Hans-Rudolf Lutz besteht aus 105 Pappbildern. Sie wurde erstmals in Gänze ausgestellt. Zur Ausstellung erschien ein Künstlerbuch in limitierter Auflage.
heinz huster über victor malsy
gleitworte zur ausstellung
heinz huster
mai 2017
guten abend, liebe freundinnen & freunde der 9k-galerie in willich.
schön, dass sie den weg auf’s land gefunden haben. einige unter ihnen haben den weg erneut gefunden. sie waren bereits im september 2016 zur galerieeröffnung und ersten ausstellung über den sammler arno stolz anwesend. herzlich willkommen.
die beiden galeristen baten mich zur heutigen eröffnung der zweiten ausstellung unter dem titel: ‚well, pappe.‘ ein paar worte zu sprechen. in der regel übernimmt solch eine ausstellungseröffnungsrede ein bewanderter kunst-, medien- oder kulturwissenschaftler. ein mensch vom fach. das bin ich nicht. ich bin, was man einen freund des hauses nennt. und so will sie meine kleine rede mit freundschaftlichen anmerkungen zu kunst & künstler auf den abend und die kommenden gespräche vorbereiten und einstimmen.
malsy ist bisher als künstler öffentlich noch nicht in erscheinung getreten. ist er überhaupt ein künstler? diese frage muss erlaubt sein, besonders beim anblick dieser105 pappbilder an den wänden. diese frage muss ein freund stellen dürfen.
doch lassen sie mich, bevor ich über 7 aspekte in der kunst der pappbilder spreche, einige biografische fixpunkte über malsy verlieren. sie könnten ihnen am abend anhaltspunkte für ein gespräch mit dem künstler liefern.
malsy ist vor längerer zeit im hessischen froschhausen geboren. seinen geburtsort erwähnt er gerne, wie sie sich vorstellen können. deshalb tue ich es hier auch. die pubertät fiel in dem streng katholischen elternhaus nicht aus, sie verschob sich nur um etwa 10 jahre in die zukunft. dem übertriebenen ordnungssinn seiner eltern konnte malsy in frühen jahren wenig verständnis abgewinnen, er fügte sich aber. was mit der verschobenen pubertät zusammenhing. heute gründet sich sein künstlerisches verständnis auf eben dies: sammeln, ordnen & sortieren, exponieren & publizieren.
doch gehen wir der reihe nach vor. in der 1970er jahren liess sich malsy zum bauzeichner & krankenpfleger ausbilden. nach seinem zivildienst – dem noch eine kriegsdienstverweigerung mit anhörung & gutachten vorausging – nach seinem zivildienst in einer tagesstätte für geistig und körperlich behinderte kinder zog es ihn anfang der 1980er jahre als krankenpfleger in den hohen norden nach bremen. hier studierte er an der hochschule für künste bei eckhard jung visuelle kommmunikation. hier trat er erstmals bei seinem lehrer peter rautmann mit den künsten und der kunstgeschichte in berührung. sie sollten ihn nie wieder los lassen.
seine diplomarbeit über el lissitzky, ‚kollege L. war schon prima‘, mehr noch seine intensive beschäftigung mit kurt schwitters, der merzkunst und dem dadaismus bilden heute die basis seines künstlerischen schaffens: aus resten, aus abfällen, aus alltäglichem neues schaffen. das alte, verbrauchte in einen neuen kontext stellen.
wir überspringen die familiengründung, die geburt der tochter (auf die er – nebenbei bemerkt – ganz besonders stolz ist, sprechen sie ihn darauf an), wir überspringen die agentur-gründung, ich spreche nicht von malsys erfolgen als gefragter buchgestalter für eine ganze reihe namhafter, deutscher verlage. seine professur in düsseldorf lassen wir auch aussen vor.
ich möchte über einige aspekte seiner pappbilder sprechen.105 sind es an der zahl. warum 105? darauf konnte er mir keine schlüssige antwort geben. gesammelt hat er sie in den letzten15 jahren. jede einzelne pappe wurde mit dem cutter aus ihrer ursprünglichen funktion gelöst, um sie in beziehung zu ihresgleichen zu stellen.
in der 9k-galerie werden die pappbilder erstmals als werkgruppe ausgestellt. (da sie zum verkauf stehen, wird man sie wahrscheinlich nie wieder in gänze zu sehen bekommen) der ausstellungstitel ‚well, pappe.‘ – schöne pappen – weist auf die intention des künstlers hin: das schöne, gute & ästhetische des alltags zeigen. das auge auf formen, farben und materialien lenken. hier steht er seinem malerfreund schmidt-rhen in hamburg nahe, der über seine konkreten bilder vor jahren sagte: „mir geht es um form und farbe – weniger um akt oder himmel.“
die zeichen auf den pappen sind bekannt: pfeile, gläser, regen-schirme, schriftzüge wie ‚vorsicht glas‘ oder ‚hier öffnen‘. ihre bedeutungen sind für uns betrachter keine rätsel. durch die wahl des ausschnitts, auch das anschneiden und abschneiden der motive, durch die formatierung der kleinen pappen in weissen rahmen, transformiert malsy den abfall zum bild. ganz im sinne des alten schwitters: „man kann auch mit müllabfällen schreien.“
malsy richtet unseren blick auf die materialität der pappoberflächen und auf die unterschiedlichen farben des drucks. malsy geht es um die themen: material, form, farbe, format, ausschnitt, anschnitt und serie.
malsy liegt die serie mehr am herzen, als das einzelstück. auch wenn ein bild wie „Bücher nicht werfen“ sicher zu den glanzstücken der ausstellung zählt. in der serie entfaltet ein zeichen seine narrativen qualitäten. erst in der serie und in ihrer kombination untereinander, beginnen die zeichen mit ihren erzählungen. immer wieder andere geschichten. je nach ihrer hängung. und ihrer ausrichtung nach oben, unten, nach links oder rechts. nicht alle pappbilder geben ihre hängung vor. der doppelpfeil zeigt dem kind das aktuelle verhältnis zwischen vater & mutter an: nach oben = alles famos. nach rechts = krise ist angesagt. nach unten = grosses zerwürfnis, therapeut dringend gesucht.
auf die eingangs gestellte frage, ob malsy überhaupt ein künstler sei, wollten meine worte nie eine antwortet geben. die antwort überlasse ich ihnen. als hinweis sei noch dies angemerkt: sein künstlerbuch ‚leiche, grab & friedhof‘ aus dem jahr 2013 ist dieses jahr in den sammlungsbestand des zentrums für künstlerpublikationen in der weserburg, museum für moderne kunst bremen aufgenommen worden.
lassen sie mich am ende meiner kleinen rede noch eine erklärende anmerkung zum untertitel der ausstellung geben. ‚hommage à hans-rudolf lutz‘ verweist auf den schweizer lehrer, autor, verleger und typografischen gestalter. malsy lernte lutz in der 1980er jahren kennen. sein buch ‚ausbildung in typografischer gestaltung‘ war gerade erschienen und das 528 seiten starke buch ‚die hieroglyphen von heute. grafik auf verpackungen für den transport‘ stand kurz vor der fertigstellung. tausende von zeichen sind in diesem dicken wälzer versammelt, alle von lutz reprografiert und in schwarz auf weiss wiedergegeben. die materialität der pappen spielte keine rolle. lutz faszinierten die zeichen und bilder. malsy fasziniert – wie ich versucht habe zu erläutern – auch die materialität der pappen, die spuren auf ihren oberflächen die gleichsam die geschichten ihrer reisen erzählen. malsy widmet ausstellung & künstlerbuch seinem kollegenfreund hans-rudolf lutz. in memoriam.
ich wünsche einen schönen abend und bedanke mich für ihre aufmerksambeit.
heinz huster
im mai 2017